Musikalische Zahlen – mathematische Musik
Mathematik und Musik scheinen auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun zu haben: Mathematik gilt als geistige Nahrung, die strengen Regeln gehorcht, Musik als seelisches, emotionales Vergnügen. Also zwei völlig unterschiedliche Disziplinen?
Auf keinen Fall, sagen viele Mathematiker und Musiker: Beide Fachgebiete gehorchen strengen Regeln und geben Anlass zu vielerlei Rechenübungen und Zahlenspielereien. Deshalb eignet sich Musik auch außerordentlich gut, um Schülerinnen und Schüler für Mathematik zu begeistern, die bisher noch keinen rechten Zugang zu dem Fach gefunden haben. In dieser Ausgabe des Lehrerspezials stellen wir Ihnen einige Ideen vor, mit denen Sie Musik in Ihren Mathematikunterricht bringen – oder zum Beispiel ein fächerübergreifendes Projekt planen können.
Pythagoras beschwingt
Der erste bekannte „Musiktheoretiker“ war der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras. Eine Alltagsbeobachtung hatte den wissbegierigen Universalgelehrten auf die Idee gebracht zu untersuchen, ob Töne in einem mathematischen Verhältnis zueinander stehen. So erzählt es jedenfalls die Legende von „Phythagoras in der Schmiede“. Danach kam Pythagoras an einer Schmiede vorbei, in der man gleichzeitig mit mehreren Hämmern arbeitete. Dem Denker fiel auf, dass die verschieden hohen Töne der Hämmer zusammen einen Wohlklang erzeugten – woraufhin er direkt in der Schmiede zu experimentieren begann und herausfand, dass das unterschiedliche Gewicht der Hämmer für die verschiedenen Tonhöhen verantwortlich war.
Ob sich diese Ereignisse wirklich zugetragen haben, ist ungewiss. Sicher ist aber: Pythagoras und seine Anhänger, die Pythagoräer, führten viele akustische Experimente durch. Unter anderem brachten sie dafür unterschiedlich lange oder beschwerte Saiten zum Schwingen. Dabei fanden sie zum Beispiel heraus, dass sich ein absolut harmonischer Wohlklang ergibt, wenn zwei Saiten gleichzeitig angeschlagen werden und eine halb so lang ist wie die andere. Auch zwei weitere „Saitenlängenverhältnisse“ klangen in den Ohren der Pythagoreer auffällig gut: War eine der beiden Saiten im Verhältnis zur anderen um 1/3 oder 1/4 kürzer, klangen beide zusammen sehr harmonisch.
Rechnen mit Intervallen und Frequenzen
Anders als in der Antike und im Mittelalter haben wir mittlerweile eine weitere Möglichkeit, über Töne zu sprechen, nämlich indem wir ihre Schwingungen zählen. Schwingt eine Saite 440 Mal pro Sekunde, also mit 440 Hz, dann erklingt zum Beispiel der so genannte Kammerton a1. Analysiert man die Frequenzen der verschiedenen Töne des Monochords, kommt man zu einer für viele Schülerinnen und Schüler erstaunlichen Entdeckung: Die Frequenzverhältnisse der Töne sind umgekehrt proportional zu den Saitenverhältnissen. Am Einfachsten zeigt sich das bei der Oktave: Halbiert man die Saite, erklingt ein Ton eine Oktave über dem Grundton. Seine Frequenz ist aber doppelt so hoch wie die des Grundtons.
Multipliziert man die Frequenz des Ausgangstons mit 3/2, ertönt die Quinte – also der Ton der auf 2/3 gekürzten Saite.
Ton | Saitenverhältnis zum Grundton |
Intervall zum Grundton |
Frequenz in der reinen Stimmung in Hz |
---|---|---|---|
c1 | 1 | Prime | 264 |
es1 | 5/6 | kleiner Terz | 316,8 (= 264 x 6/5) |
e1 | 4/5 | großer Terz | 330 (= 264 x 5/4) |
f1 | 3/4 | Quarte | 352 (= 264 x 4/3) |
g1 | 2/3 | Quinte | 396 (= 264 x 3/2) |
c1 | 1/2 | Oktave | 528 (= 264 x 2) |
Können Ihre Schülerinnen und Schüler herausfinden, bei welchem Ton man landet, wenn man die Saite zunächst so kürzt, dass eine Quinte erklingt, und dann diesen Ton als neuen Grundton nimmt und eine Quarte darüber spielt? Richtig: Der Ton, der am Schluss zu hören ist, liegt genau eine Oktave über dem ursprünglichen Grundton. Das Beispiel zeigt, dass im Umgang mit Frequenzen vor allem die „Punkt-Rechenarten“ eine Rolle spielen. Auch wenn wir das Übereinanderschichten von Intervallen dem Gehör nach eher als Addition empfinden, verhalten sich die Töne logarithmisch. Die Kombination von Quinte und Quarte in Zahlen ausgedrückt lautet entsprechend:
2/3 · 3/4 = 6/12 = 1/2
Leider brachte die pythagoreische und die von dieser abgeleitete reine Stimmung für Musiker einige Tücken mit sich (Zahl zum Staunen). Aus diesem Grund haben sich Musiker inzwischen von der reinen Stimmung verabschiedet und stattdessen die so genannte gleichstufige Stimmung eingeführt. Zwar klingen die Intervalle nicht mehr ganz so rein, dafür besteht aber eine Oktave nun aus zwölf Halbtonschritten, die alle gleich groß sind.
1875 schlug der englische Wissenschaftler Alexander John Ellis eine weitere Neuerung vor, die das Vergleichen von Tonabständen vereinfachen sollte: Eine neue Maßeinheit für Intervalle – den Cent. Das Besondere an der Einheit besteht darin, dass sie dem menschlichen Empfinden Rechnung trägt, dass Intervalle nicht multipliziert, sondern addiert werden müssten – der Centwert verhält sich also proportional zur Größe des Intervalls. Eine Oktave entspricht 1200 Cent. Jeder Halbtonschritt entspricht 100 Cent, zwei Oktaven entsprechen 2400 Cent usw. Zur Umrechnung von Frequenzverhältnissen nach Pythagoras’ Vorbild in Cent gilt folgende Grundlage:
1 Cent entspricht dem Frequenzverhältnis 1200√2
Mit folgender Formel lassen sich Frequenzverhältnisse (p) in Intervalle (i) umrechnen:
i=1200 x log2 p Cent
Mit dieser Formel können Ihre Schülerinnen und Schüler zum Beispiel die oben stehende Tabelle ergänzen: Welchem Centwert entspricht welches Intervall in der reinen Stimmung? Wie viel Cent haben die Intervalle in der gleichstufigen Stimmung (kl. Terz – drei Halbtonschritte, gr. Terz – vier Halbtonschritte, Quarte – fünf Halbtonschritte, Quinte – sieben Halbtonschritte, Oktave – zwölf Halbtonschritte)?
Musikalische Zahlen – mathematische Musik
Sogar jenseits der Schwingungen und Frequenzverhältnisse: Die Welt der Musik und der Mathematik haben einiges gemeinsam. Zum Beispiel suchen die Menschen seit Jahrhunderten sowohl in der Musik als auch in Zahlenwerken immer wieder nach Mustern und Botschaften, etwa im Werk Bachs. Bach war ein großer Anhänger der Gematrie, bei der Buchstaben einem Code wie dem folgenden in Zahlenwerte umgerechnet wurden:
A | B | C | D | E | F | G | H | I | J | K | L | M | N | O | P | Q | R | S | T | U | V | W | X | Y | Z |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 | 25 | 26 |
Berühmt ist die „Bach-Zahl“ 14, die Summe der vier Buchstaben, die zum Namen „Bach“ gehören: 2+1+3+8. Sie findet sich bei Bach an vielen Stellen:
Auf dem berühmten Porträt, das Elias Gottlob Haußmann 1746 von dem Komponisten anfertigte, sind genau 14 Knöpfe zu sehen, der „Bach-Pokal“ – ein mysteriöses Gefäß aus Bachs Haushalt – weist 14 besondere Markierungen auf. Darüber hinaus finden Bach-Liebhaber bis heute neue Hinweise auf die Zahl 14 in Bachs Musik: Mal hat eine entscheidende Stelle genau 14 Noten, mal besteht ein Abschnitt aus genau 14 Takten oder die Intervalle zwischen den Grundtönen der verschiedenen Tonarten ergeben genau 14.
Aber die 14 ist längst nicht die einzige Zahl, die Bach in seine Musik eingebaut hat. Häufig unterstützen versteckte Zahlenspielereien die Aussage seiner Musik. So spielt zum Beispiel in der Matthäuspassion die Zwölf eine besondere Rolle – die Anzahl der Jünger Jesu. Aber im Chor Nr. 15, als der Verrat eines der Jünger Jesus angekündigt wird, fällt die Frage „Herr, bin ich’s?“ nur elfmal. Bach-Kenner erklären das Fehlen einer zwölften Wiederholung als Hinweis auf den Verräter Judas, der es nicht wagt, die Frage zu stellen. Auch wenn allerdings heute als erwiesen gilt, dass Bach gern numerische Botschaften in seinen Stücken unterbrachte – viele „Fundstellen“ eifriger Bach-Mystiker scheinen übertrieben. So zum Beispiel die Annahme, Bach habe in den Goldberg-Variationen sein eigenes Todesdatum vorausgesagt.
Komposition – eine Frage des Zufalls?
Zahlen sind vielseitig: Einerseits lassen sich mit Zahlen strenge Systeme und komplexe Konstruktionen wie in Bachs Stücken umsetzen. Andererseits sind Zahlen auch hervorragend für Zufallsexperimente geeignet. Dass sich Zufall und Musik gut verbinden lassen, wissen wir spätestens seit Mozarts Zeit, als die Gesellschaft musikalische Würfelspiele entdeckte. Um 1787 verfasst Mozart seine „Anleitung so viel Walzer oder Schleifer mit zwei Würfeln zu componiren so viel man will ohne musikalisch zu seyn noch etwas von der Composition zu verstehen". Das Spielprinzip: Mithilfe von Tabellen und zwei Würfeln stellen die Spieler aus einer Liste fertig komponierter Takte ein individuelles Musikstück zusammen. Einzige Voraussetzung in der damaligen Zeit waren wenigstens geringe Klavierkenntnisse, um das erwürfelte Musikstück vortragen zu können. Heute lassen sich Würfelkompositionen auch im Internet zusammenstellen, so zum Beispiel auf der Seite http://www-m10.ma.tum.de/bin/view/MatheVital/Music/Mozart .
Der Ohrwurm – ein statistisches Phänomen
Kennen Sie den Song „Que sera, sera“, den Doris Day 1956 in dem Hitchcock-Klassiker „Der Mann, der zu viel wusste“ sang? Vorsicht: Wenn Sie jetzt beginnen, das Lied zu summen, dann werden Sie es möglicherweise den ganzen Tag nicht mehr los. „Que sera, sera“ ist ein klassischer Ohrwurm, also eines der Musikstücke, die sich schon nach einmaligem Hören tief ins Gehirn bohren und sich dort für Stunden oder sogar Tage festsetzen.
Warum manche Stücke das Zeug zum Ohrwurm haben und andere nicht, ist nicht sicher belegt. Einen interessanten Ansatz bietet eine Untersuchung des argentinischen Physikers Damián Zanette (http://fisica.cab.cnea.gov.ar/estadistica/zanette/papers/zanettef.pdf). Seine Idee: Das ursprünglich linguistische „Zipfsche Gesetz“ auf Musik anwenden. Das von dem Linguisten George Kingsley Zipf in der 1930er Jahren entwickelte Modell beschreibt vornehmlich, wie häufig verschiedene Wörter in einem Text vorkommen. Die erstaunliche Erkenntnis: Die Verteilung gleicht einer Hyperbel. Das häufigste Wort findet sich meistens doppelt so häufig wie das zweithäufigste, außerdem dreimal so häufig wie das dritthäufigste usw. Zanette prüfte, ob sich das Gesetz auch auf Musik übertragen lässt und zählte sowohl die Häufigkeit als auch die Länge bestimmter Noten in verschiedenen Musikstücken. Seine Schlussfolgerung: In drei sehr eingängigen klassischen Werken von Bach, Debussy und Mozart, die er untersuchte, findet sich das Zipfsche Gesetz wieder. Nicht so in dem vierten Stück, das er unter die Lupe nahm: Arnold Schönbergs erstes der „Drei Klavierstücke“ (Opus 11) entspricht dem Zipfschen Gesetz nicht einmal ansatzweise. Das atonale Musikstück verzichtet bewusst auf einen Grundton bzw. die Zuordnung zu einer bestimmten Tonart. Es gilt als Vorläufer der später von Schönberg mitentwickelten Zwölftonmusik. Diese folgt einer besonderen Regel: Ein Ton darf erst wiederholt werden, nachdem alle anderen elf Töne der chromatischen Tonleiter ebenfalls erklungen sind. Wer Schönberg schon einmal gehört hat, stimmt zu: Zum Ohrwurm eignet sich die Musik kein bisschen.