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Meere und Ozeane – Mathematik zum Eintauchen

Gewaltige Wassermassen bedecken den größten Teil der Erde. Wenn das anders wäre, hätte sich vermutlich nie Leben auf unserem Planeten entwickelt. Meere und Ozeane sind Lebensraum für unzählige Tiere und Pflanzen, für uns sind sie zugleich Energielieferant, Nahrungsquelle und Handelsraum. Das Klima wird durch sie ebenfalls maßgeblich mitbestimmt. Aktuell sind die Meere außerdem Thema des Wissenschaftsjahres . Ein guter Anlass, um dieses Lehrerspezial den Meeren und Ozeanen zu widmen. Im Gespräch mit der Redaktion des Lehrerspezials erzählt Dr. Joachim Dengg, Schulkoordinator am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, wie es dem Institut gelingt, Schülerinnen und Schüler mit Meeresthemen für die MINT-Fächer zu begeistern, und welche Rolle Mathematik dabei spielt.

Keine Frage: Biologen, Ozeanografen und Geografen stehen an vorderster Front, wenn es um die Erforschung der Ozeane geht. „Aber an irgendeinem Punkt kommt immer Mathematik ins Spiel“, erklärt Dr. Joachim Dengg.

Die wissenschaftlichen Fragen, denen das Institut nachgeht, seien nun einmal interdisziplinär. „Wenn Sie zum Beispiel ozeanbiologische Vorgänge untersuchen möchten, dann müssen Sie auch die Bewegung des Meerwassers kennen. Und wenn Sie sich mit der Lichtabhängigkeit von Meereslebewesen beschäftigen, brauchen Sie Exponentialfunktionen“, erzählt der Ozeanograf.

Wissenschaftlern über die Schulter schauen

500 bis 800 Jugendliche besuchen das Forschungszentrum jedes Jahr. Manche kommen im Klassenverband, andere reisen über Jahre einmal in der Woche einzeln an, manchmal sogar quer durch Schleswig Holstein , um an eigenen Forschungsprojekten zu arbeiten. Darüber hinaus bietet das GEOMAR auch Lehrerfortbildungen an.

Anstatt vorgefertigte Versuche anzubieten, möchte das Institut Schülerinnen und Schülern einen Einblick in echte, interdisziplinäre Forschung geben. Deshalb entwickelt das GEOMAR auf die Wünsche interessierter Lehrkräfte zugeschnittene Projekte und vermittelt den Jugendlichen Kontakt zu seinen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

Die Erkenntnis, dass in der Forschung die Grenzen der Schulfächer verschwimmen, überrasche viele Lernende, berichtet Dengg. „Wenn eine Klasse im Zusammenhang mit dem Biologieunterricht hergekommen ist, und wir schreiben dann plötzlich eine mathematische Gleichung oder ein physikalisches Gesetz an die Tafel, gibt es oft erst einmal ein bisschen Verwirrung.“

Mit relevanten Forschungsfragen begeistern

Vor allem aber motiviert der Einblick in die Wissenschaft. Das liege sicher daran, dass viele Forscherinnen und Forscher am Institut für ihre Arbeit brennen würden und das im Gespräch mit den Jugendlichen auch authentisch vermittelten, meint Dengg. Außerdem setzt das Institut in der Zusammenarbeit mit Schulen auf gesellschaftlich relevante Fragestellungen.

Gerade Mädchen würden häufig fragen, wozu etwas gut sei, so der Schulkoordinator. „Während Jungen gern gleich loslegen, wenn sie zum Beispiel etwas bauen oder programmieren sollen, möchten Mädchen oft wissen, welchem Zweck etwas dient. Deshalb hätten sich zum Beispiel Themen wie „Medizin aus dem Meer“, Tsunami-Warnungen oder natürlich der Klimawandel bewährt.

Einmal bei der Arbeit, fällt den Jugendlichen der Sprung in weitere MINT-Teilbereiche nicht schwer. „Viele, die sich bei uns bewerben, möchten am liebsten zu Walen oder Delfinen zu forschen. Wir machen dann aber Muscheln oder Schnecken. Wenn sie erst mal da sind, fangen sie an, sich für andere Gebiete zu interessieren, bis hin zu Physik und Chemie.“

Zeit für ein Meeresprojekt im Unterricht freischaufeln

So groß das Interesse vieler Schulen am Thema aber auch ist – vielen Lehrkräften fällt es schwer, im vollgepackten Lehrplan Zeit für ein Projekt mit dem GEOMAR zu finden. Dengg berichtet, wie es doch klappen kann: „Manche Lehrkräfte planen konkret für eine Projektwoche. Andere strecken ein Thema über ein ganzes Halbjahr, mit zum Beispiel einer Doppelstunde in jeder zweiten Woche.“ Auch fächerübergreifend lässt sich nach seiner Erfahrung Zeit schaffen. „Wenn zum Beispiel zwei Fächer im Stundenplan aufeinander folgen, dann kann man in der Kombination mit Doppelstunden arbeiten.“

Fächerübergreifend arbeiten – nicht nur MINT-intern

Weil die Mathematik in allen Themen am GEOMAR mitschwingt, bieten sich zum Beispiel mathematisch-naturwissenschaftliche Fächerkombinationen für ein Unterrichtsprojekt an. So erinnert sich Dengg an eine Lehrerin, die zwei Jahre lang abgeordnet am Institut mitarbeitete. „Sie hatte die Fächerkombination Biologie/Mathematik und führte Experimente zum Wachstum von Plankton durch. Dabei war es ihr aber auch ein Anliegen, dass die Schülerinnen und Schüler die Funktionen für das exponentielle Wachstum berechneten und verstanden.“

Allerdings bieten sich nicht nur MINT-interne Fächerkombinationen für ein Meeresprojekt an – schließlich spielen die Meere und unser Umgang mit ihnen gesellschaftlich eine große Rolle. So hat das GEOMAR ein Projekt zum Thema „Climate Engineering“ entwickelt, das sich zum Beispiel für die Fächerkombination Physik und Philosophie eignet. Climate Engineering beschreibt die Idee, aktiv ins Klima einzugreifen, um die globale Erwärmung zu verlangsamen. Während physikalisches Wissen nötig ist, um die Ansätze zu verstehen, beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler im Philosophie-Teil mit den ethischen Fragen der risikoreichen Klimamanipulation. Und auch Projekte in Zusammenarbeit mit dem Englischunterricht findet Dengg sinnvoll – schließlich fänden am GEOMAR inzwischen alle Master-Studiengänge auf Englisch statt.

Mathematische Aha-Momente

Zu den schönsten Erlebnissen für Lernende und Lehrende gleichermaßen zählen Aha-Momente. Am GEOMAR kommen immer wieder Schülerinnen und Schüler zu solchen Augenblicken des Erkenntnisgewinns. „Ach, das hatten wir in Mathe. Mir war bisher aber gar nicht so richtig klar, wozu das gut ist!“, hört Dengg immer wieder.

Oft fällt der Groschen, wenn die Jugendlichen Mathematik für ihre eigene Forschung benötigen. „Wir hatten hier zum Beispiel zwei Schüler, die Wellenphänomene in einem Wassertank untersuchten“, erzählt Dengg. „Als ich ihnen die Gleichungen dafür gab, wunderten sie sich, wieso da eine Sinus-Funktion drinsteckte. Ich erklärte ihnen dann, dass das, was eine Welle tut, durch einen Sinus beschrieben werden kann. Den Zusammenhang zwischen Sinus und Welle hatten sie vorher nicht verstanden.“

Mitunter ist den Jugendlichen gar nicht bewusst, wie sehr sie durch die Arbeit an GEOMAR-Projekten ihre mathematischen Kenntnisse erweitern. Dengg erzählt von einem Schüler, der ein biologisches Modell programmiert hatte, um die vertikale Wanderung von Krebsen zu untersuchen. GEOMAR-Wissenschaftler hatten die Krebsart kurz zuvor bei Peru entdeckt: Tagsüber versteckten sich die Tiere in einer sauerstoffarmen Zone vor ihren Fressfeinden, nachts wanderten sie zum Fressen und Sauerstofftanken an die Oberfläche. Um mehr über diese vertikale Bewegung herauszufinden, entwickelte der Schüler über mehrere Monate ein Modell mit Energie- und Sauerstoffbudgets. Dass er dabei schließlich auch Differenzialgleichungen löste, war ihm gar nicht bewusst – weil er das aus dem Mathematikunterricht noch nicht kannte.

Mathematik darf keine Blackbox sein

Auch wenn die Mathematik am GEOMAR nicht Selbstzweck, sondern eher Handwerkszeug ist, betont Dengg, dass es ohne mathematisches Verständnis nicht gehe – zum Beispiel, wenn bei Versuchsauswertungen Statistik ins Spiel kommt. „Die Versuchung ist groß, einfach mit dem Rechner Mittelwerte und Standardabweichungen zu berechnen oder einen T-Test durchzuführen.“

Manchen Jugendlichen sei aber nicht klar, dass einige Rechenverfahren erst ab einer bestimmten Anzahl an Proben sinnvoll seien. „Mathematik darf keine Blackbox sein – wenn die Schülerinnen und Schüler nicht wissen, warum sie ein Rechenverfahren anwenden, dann ist das sehr fehleranfällig“, meint Dengg.

Dass die Jugendlichen am GEOMAR vor allem ihre Mathematikkenntnisse verbessern, ist indessen nicht das Ziel des Forschungszentrums. „Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, dass die Lernenden sagen, sie hätten hier viel über Mathematik gelernt. Ich hoffe, dass das subtiler wirkt – dass sie der Meinung sind: Ich habe etwas über den Ozean gelernt, und dafür war das, das und das wichtig“, resümiert Dengg.

Mehr Infos zu den Schulangeboten des GEOMAR finden Sie hier: http://www.geomar.de/entdecken/schule/